Kunden richtig verstehen – Jürgen und Silke können dir dabei helfen
Beitrag als Podcast anhören:
Ihre Kunden richtig verstehen – vielen Verkäufern fällt dies unbewusst sehr schwer. In zu vielen Fällen interpretiert der Verkäufer Situationen von Kunden völlig falsch und läuft dadurch Gefahr, das Vertrauen des Kunden zu verspielen.
Stelle dir bitte folgende Situation vor:
Du betrittst ein Wohnzimmer. Es ist nicht dein Wohnzimmer. Es duftet außerordentlich gut in diesem Raum. Du gehst zwei Schritte hinein. Du siehst rechts an der Wand sechs wunderschöne Bilder hängen. Das zweite von links hängt etwas schief. Du gehst weiter in das Zimmer hinein. Ein Fenster ist offen, die Gardine weht hinein. Draußen fährt laut hupend ein Lkw vorbei. Du gehst noch einige Schritte weiter in den Raum hinein. Plötzlich siehst du Jürgen und Silke tot am Boden liegen. Die beiden liegen regungslos tot auf dem Boden und der Teppich, auf dem die beiden tot liegen, ist nass. Außerdem liegen im Raum verteilt einige Glasscherben.
Was ist mit Jürgen und Silke passiert?
Bitte nimm dir nun, bevor du weiter liest, einen Moment Zeit und überlege dir einige Fragen, die bei der Lösung des Rätsels helfen könnten. Wichtig dabei ist, dass du nur geschlossene Fragen stellst, also Fragen, die ich dir mit einem klaren Ja oder Nein beantworten könnte.
Diese Fragen könnten zum Beispiel lauten:
- Wurden Jürgen und Silke umgebracht?
- Wurde etwas gestohlen?
- Hat der LKW etwas mit dem Mord zu tun?
- Sind Jürgen und Silke ein Paar?
- Handelt es sich um das Wohnzimmer von Jürgen und Silke?
- Sind Jürgen und Silke in diese Wohnung eingebrochen?
- Trug Silke ein Parfüm?
Diese oder andere Fragen würdest du mir vielleicht stellen – und doch der Lösung dieses Falles kein Stück näher kommen. Daher würde ich dich folgendes fragen: Wie stellst du dir Silke denn vor?
Vielleicht stellst du dir eine Frau so im Alter zwischen 30 und 40 vor, schlank und mit dunkelblondem Haar. Damit wärst du jedoch komplett auf dem Holzweg. Denn es gibt eine einzige Frage, mit der du des Rätsels Lösung schnell näher gekommen wärst: „Sind Jürgen und Silke Menschen?“ Meine Antwort darauf wäre ein klares Nein gewesen. Jürgen und Silke sind nämlich Goldfische.
Jürgen und Silke lebten glücklich in ihrem Goldfischglas auf der Fensterbank, bis eines Tages die Katze von draußen in den Raum sprang und dabei das Glas umkippte.
Aber warum kamst du nicht auf diesen einfachen Gedanken? Jürgen und Silke sind sehr häufige Namen in Deutschland, ich schätze mal, dass fast jeder einen Jürgen oder eine Silke kennt. Als Haustiernamen sind sie aber eher ungebräuchlich. Daher denken wir sofort an zwei Menschen. Zudem ist die Geschichte gespickt mit unspezifischen Aussagen, wie die zum Geruch, zu dem schiefhängenden Bild oder zum LKW. Und du fängst sofort an, dich nur darauf zu konzentrieren, was mit den beiden Menschen passiert ist. Was der LKW, die Bilder oder der gute Geruch mit einem Mord zu tun haben könnten. Und von Anfang an sitzt du im falschen Boot.
Dieser Effekt, ich nenne ihn die Interpretationsfalle, entsteht, weil wir häufig nicht genau hinterfragen, was wir hören. Stattdessen klassifizieren wir falsch und bauen unsere gesamte Vorstellung um ein falsches Bild herum auf. Das ist dann das Jürgen-Silke-Phänomen.
Ich finde dieses Beispiel einfach so treffend, dass ich jedes meiner Trainings und alle Vorträge mit Jürgen und Silke beginne. Ursprünglich habe ich die Geschichte einmal in einer leicht veränderten Form von der Management- und Motivationstrainerin Vera Birkenbihl gehört.
Sehr interessant ist es übrigens, Kindern im Alter von acht, neun Jahren dieses Rätsel zu präsentieren. Die werden nämlich sehr schnell die Frage stellen, ob Jürgen und Silke denn Menschen sind. Das liegt daran, dass Kinder in diesem Alter in ihrem gesamten Denken noch nicht so festgefahren sind wie Erwachsene und daher keine voreiligen Vorannahmen treffen. Das gilt auch für den umgekehrten Fall: Wenn wir plötzlich eine fliegende lila Kuh sehen würden, wären wir wohl über alle Maßen erstaunt. Das widerspräche einfach allem, was wir kennen und was uns aufgrund unseres Wissens möglich erscheint. Ein dreijähriger Junge hingegen fände eine fliegende Kuh zwar spannend, aber nicht spannender als ein Flugzeug. Denn dieses Kind erlebt jeden Tag so viele neue, aufregende und faszinierende Dinge, dass ihm eine fliegende Kuh nicht seltsamer als fliegende Maschinen vorkäme.
Das, was wir jeden Tag sehen und erleben prägt unsere gesamte Wahrnehmung. Was wir kennen und wie wir täglich handeln entscheidet daher, wie wir neue Situationen wahrnehmen und beurteilen.
Nun kommen wir zu Jürgen und Silke Teil 2:
Besitzt du ein Auto? Höchstwahrscheinlich schon. Wenn ich dich nun fragen würde, welcher Reifenhersteller die meisten Reifen produziert, wüsstest du dann die Antwort?
Sicher werden dir direkt die üblichen Verdächtigen einfallen, Dunlop, Michelin, Goodyear, Bridgestone, Yokohama. Und schon bist du wieder in die Interpretationsfalle getappt, denn du hast direkt an Hersteller für KFZ-Reifen gedacht. Was aber, wenn ich nun sagen würde, dass LEGO weltweit die meisten Reifen produziert? Dann schmunzelst du nun bestimmt ertappt.
Wir hören also eine Frage und ganz automatisch interpretieren und assoziieren wir bestimmte Dinge. All unsere Gespräche werden daher auf persönlichen Assoziationen aufgebaut, die aber oft ein schlechter Ratgeber sind.
In diesem Fall dachtest du sofort an Autoreifen, weil ich vorher die Annahme in den Raum gestellt habe, dass du Auto fährst. Oder auch, weil wir Reifen eher mit Autos verbinden, als mit Spielzeug. Hättest du mir im Gespräch zwei, drei klassifizierende Fragen gestellt, wärst du sicher schnell auf die richtige Antwort gekommen: „Sag mal, Frank, wo genau werden diese Reifen denn eingesetzt? An welche Fahrzeuge werden sie denn montiert?“ Und schon wärst du auf kleine Spielzeugautos gekommen und hättest Siku, Matchbox oder Lego vorgeschlagen. Wir sehen hier ganz deutlich, wie sehr die Qualität der Fragen über die Qualität des Ergebnisses entscheidet.
Wir müssen also immer daran denken, dass wir ein Gespräch nicht auf unseren subjektiven Annahmen und Assoziationen aufbauen.
Doch wie schaffen wir das auch in der Praxis? Wichtig ist, dass wir unseren Gesprächspartner gedanklich in den Mittelpunkt rücken und ihm gute, kluge Fragen stellen. Dabei müssen wir versuchen, Unspezifisches sichtbar zum machen.
Dein Kunde sagt beispielsweise folgendes: „Herr Lieferant, mir sind kurze Reaktionszeiten sehr wichtig.“ Nun hat jeder eine andere Interpretation von kurzen Reaktionszeiten im Kopf. Daher musst du an dieser Stelle unbedingt hinterfragen: „Herr Kunde, was genau verstehen Sie denn unter einer kurzen Reaktionszeit?“ Damit werden gleich am Anfang mögliche Missverständnisse beseitigt und die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt. Dein Kunde bekommt so auch das Gefühl, dass du dich wirklich auf ihn und seine Wünsche konzentrierst, ihn gedanklich in den Mittelpunkt des Gesprächs stellst und ein ehrliches Interesse an ihm hast.
Mein Fazit zum Thema Interpretationsfalle ist daher: Wenn du erfolgreich kommunizieren möchtest, musst du immer an Jürgen und Silke denken. Hinterfrage die Aussagen und Forderungen deines Gesprächspartners so intensiv wie möglich. Nur so kannst du sicher sein, auf der richtigen Basis zu stehen, zu arbeiten und zu argumentieren und nur so kannst du deinen Kunden richtig verstehen.
0 Kommentare